Sicher verschanzt hinter dem Pult steht der Redner - eine Person ohne Unterleib. Vielleicht ab dem Brustbein, sicher aber vom Nabel abwärts geht er ins das Material des Pultes über. Wir beobachten ehrfurchtsvoll und bewundernd, wie sich gerade hier und jetzt vor unseren Augen ein Mensch aufmacht in die ewige Walhalla der großen Vortragenden – Deifizierung nennt man das. Für uns sterbliche Banausen mag die Erkenntnis den Trost der Gemeinsamkeit bieten, nach der angeblich neunzig Prozent aller Menschen den Tod einer öffentlichen Betätigung als Vortragende vorziehen.
Das alles ist bekannt und dabei sowohl gut wie schön. Wo Ehrfurcht wabert, ist Weihe nicht weit. Um überhaupt noch von Unterhaltung reden zu können, müssen wir an dieser Stelle Schluss machen. Lehnen wir uns zurück, die weitere Rede ist von irdischen Bedürfnissen, nämlich auch beim Vortrag unterhalten werden zu wollen. Der Redner befindet sich nun woanders, nicht mehr hinter dem Pult, sondern bei seinen Zuhörerinnen und Zuhörern.
Wir beobachten ihn, wie er erzählt, nicht vorträgt, sondern wie er eine Geschichte erzählt. Sein Thema muss eine Geschichte sein, weil es sonst wohl nicht Thema der Zuhörerinnen und Zuhörer werden kann. Die besten, die glaubwürdigsten und die lehrreichsten Geschichten sind nicht neu, sie treten immer wieder in neuen Gewändern auf, haben vielleicht einen neuen Auftrag, erzählen im Grunde aber die Lebenswirklichkeit der Zuhörerinnen und Zuhörer. Wie stellt man es an, auf andere einen bestimmten Eindruck zu machen? Das ist eine der großen Geschichten, die immer wichtig sind. Die anderen großen Geschichten handeln von Liebe, vom Glück und der Macht, von der Ungewissheit der Zukunft und der Erklärung der Vergangenheit.
Die großen Geschichten hier und jetzt sind die kleinen und privaten Geschichten der Menschen, die um den Redner sitzen. Der Redner, den wir immer mehr als Edutainer erkennen, erzählt die kleinen Geschichte der Menschen, um die großen Geschichten der Menschheit passend für Raum und Anlass zu machen. Dazu braucht er natürlich die Zuhörerinnen und Zuhörer, wie sonst könnte er ihre Geschichten erfahren und dann erzählen? Damit die Menschen dem Edutainer und damit allen anderen ihre eigenen Geschichten erzählen, brauchen sie die Gewissheit und Sicherheit, dass nichts schief geht und sie die Geschichten erzählen dürfen, ohne Schaden für sich befürchten zu müssen. In die Sicherheit der erzählenden Zuhörer investiert der Edutainer, denn er investiert zugleich in die gute Beziehung zwischen sich und den Zuhörern.
In diesen Situationen erzählen die Menschen, treten nach vorn in den Kreis, spielen vor und spielen mit; sie tun es nicht immer bereitwillig und nicht selten mit Überwindung, das muss man anerkennen. Aber wenn sie es tun, haben sie zuvor mit Blicken und Gesten ein Abkommen mit dem Edutainer geschlossen, über das, was sie möchten oder auch nicht.
Die großen Geschichten fragmentieren in die kleinen und wichtigen Geschichten des persönlichen Lebens. Es geht also nicht um die großen und fernen Themen, die ein Rednerpult rechtfertigen, sondern um die Geschichten der Anwesenden. Die erzählt man im Kreis.
Der Rest ist Technik. Nennen wir ein paar Versatzstücke: das Symbol, wenn von Motivation die Rede ist und ein Bierglas vor einer Bergkulisse das Bild dafür. Es gibt die Bilder und die Sprüche, auch die verqueren: der zweite ist der erste von den letzten.
Die Geschichten werden dadurch runder, sie lassen sich in alle Richtungen kollern, hat man erst den richtigen Spruch. Was ist ein Spruch? Die Zuspitzung einer Geschichte vom Ende her erzählt. Ein besonderer Spruch ist der Running Gag, der rote Faden einer allseits willkommen geheißenen Vortragsnarretei. Ist er gut, ziehen mindestens zwei am Faden des Running Gags – der Edutainer, der ihn ins Spiel brachte und die Person, von der er handelt. Natürlich gehört auch die Überraschung hierher, sie ist eine Technik, die sich jetzt ankündigt, aber nicht erfüllt, weil es sonst keine Überraschung mehr wäre. Wir bleiben gespannt auf die Auflösung.
Foto: © IHK Nürnberg für Mittelfranken 2016, mit freundlicher Genehmigung